Eine Frau lenkt den Männerverein

Neuer Vorstand beim Hellershofer Liederkranz – Managerin mit Bühnenerfahrung übernimmt die Führung

Sensation im Sandland: Erstmals führt eine Frau einen Männergesangverein. Ihr Stellvertreter ist ein Amerikaner aus Chicago. Sie wollen dem Traditionsclub eine  neue Perspektive geben.

Hellershof. Wolfgang Hänle ist als erfahrener Pädagoge mit allerlei Problemen vertraut. „Jetzt wird es schwierig“, prophezeite der frühere Schulleiter in seiner Eigenschaft als Wahlleiter bei der Hauptversammlung des Liederkranzes Eintracht Hellershof. Der Kassier Günter Wahl war gerade in seinem Amt bestätigt worden, einfaches Zeichen per Hand hatte genügt. Aber nun musste eine neue Führungsmannschaft gefunden werden. Tobias Hermann hatte aus persönlichen Gründen seinen Rückzug angekündigt. Der 36-jährige Gschwender war 2009 zum zweiten Vorsitzenden bestimmt worden. Seit einem Jahr stand er allein am Ruder des Vereinsschiffs. „Kommissarisch“ gab er gleichsam den Kurs vor. Günther Frank aus Hundsberg war nach über 40 Jahren als höchster Funktionär der Eintracht quasi in den Ruhestand gegangen. Heute ist er Ehrenvorsitzender der „Eintracht“

Für den eingetragenen Verein ging es an diesem Abend um nichts weniger als die Zukunft. Würde sich kein Vorstand finden, müsste erneut eine Versammlung einberufen werden. Bliebe auch dieser Versuch erfolglos, drohte von Gerichts wegen so etwas wie ein Insolvenzverwalter. Fände dieser niemand, der die Verantwortung übernehmen wollte, müsste die Existenz der gemeinnützigen „Eintracht“ beendet werden.

Doch so weit wird es nicht kommen. Wahlleiter Hänle fragte die anwesenden Mitglieder, wer als zweiter Vorsitzender kandidieren möchte. Und siehe da, mit geziemender Überlegungssekunde ging eine Hand hoch – von Christopher „Chris“ Macchini (33). Der US-Amerikaner aus Chicago hatte der Liebe wegen ins beschauliche Sandland gefunden, war vom Vater seiner Freundin in die Singstunde mitgenommen worden – und fand sofort Gefallen daran. Seine Wahl war reine Formsache.

Zum absoluten Novum dagegen geriet die Wahl der „Nummer 1“. Auf Hänles Aufforderung meldete sich – eine Frau. Katja Frank (33) erklärte sich bereit, die Vakanz zu beenden und fortan in einem Männergesangverein den Ton anzugeben. Bei einer Enthaltung sprachen ihr die Mitglieder offen das Vertrauen aus. „Das haben wir inständig gehofft“, kommentierte der Wahlleiter die Entscheidung und gelobte im Namen aller, „dass wir unser Bestes geben“. Katja Frank, Managerin bei einer Eventagentur in Künzelsau, die zu den Top 10 in Deutschland gehört, bringe „hervorragende Voraussetzungen“ mit für ihre ehrenamtliche Aufgabe, gab sich Hänle überzeugt.

Im Chorverband Friedrich Silcher mit seinen 97 unterschiedlich aufgestellten Mitgliedsvereinen gibt es zwar 38 Frauen in einer solchen Spitzenposition. Aber keiner der 17 reinen Männerchöre ist sozusagen in weiblicher Hand.

Ehrung
Letzte Amtshandlung: Mit einem Geschenkkorb bedankte sich der stellvertretende Vorsitzende Tobias Hermann bei Hans Kugler, der über 30 Jahre lang die Vereinskasse prüfte.

„Ich bin gottfroh, dass wir wieder vollständig sind“, gab sich Tobias Herman erleichtert. Seinen Abschied verband er mit einem Geschenk für Hans Kugler aus Hüttenbühl. Der 80-Jährige hatte über 30 Jahre lang die Kasse geprüft, dafür gebührten ihm Dank und die Ernennung zum Ehrenmitglied. Seine Nachfolge übernimmt Gerhard Lang aus

Kaisersbach.

„Es kann nicht sein, dass ein so erfolgreicher Verein aufgelöst wird“, begründete Katja Frank ihre Kandidatur. Sie sei mit dem Verein aufgewachsen, sei von ihrem Vater, dem heutigen Ehrenvorsitzenden, nachhaltig geprägt worden. Schon von Kindesbeinen an habe sie erlebt, mit welchem Pensum an Arbeit und Engagement der Vorsitz verbunden sei, „aber das schreckt mich nicht ab“. Ihr gehe es auch um die Zukunft der populären Jahresfeiern. Bei diesen habe sie erstmals 1992 auf der Bühne gestanden. Die Sechsjährige entzückte damals das Publikum mit „A Stückerl heile Welt“. Seither ist die dynamische Frau eine der Stützen der gemischten Singgruppe, die keine eigenständige Abteilung des Vereins ist, aber ein Garant für den Erfolg.

Wie das Gespann Frank und Macchini den Liederkranz ausrichten wollen, bleibt noch ein Geheimnis.  Dass die beiden bestens miteinander geschirren können, haben sie schon

Vorstand
Das neue „Dream Team“ des Hellershofer Liederkranzes: Katja Frank und Christopher Macchini wollen die Existenz des Vereins gemeinsam sichern.

mehrfach bei der Jahresfeier bewiesen. Ein Wahlversprechen gab es nicht. Der Verein soll noch besser in den drei Sandland-Gemeinden verankert werden, Familien und Kinder könnten einbezogen werden, hieß es vage.

Zunächst aber muss das Vorstandsduo einen neuen Chorleiter finden. Wenn Wolfgang Hänle im Herbst 75 Jahre alt wird, will er aufhören. Vor 35 Jahren ließ er sich auf das Abenteuer ein: „Es war eine schöne Zeit, manchmal auch stressig, aber jetzt ist es genug.“

INFO:
Der Liederkranz Eintracht Hellershof ging aus einem 1899 gegründeten Kirchenchor hervor. Heute gehören ihm 92 Mitglieder an, davon sind 19 Männer aktive Sänger. Für ihre Verdienste wurden sechs Funktionäre zu Ehrenmitgliedern ernannt, zählte Schriftführer Hartmut Schurr bei der Hauptversammlung auf. Zu den Singstunden trifft sich der Chor im Schulhaus von Hellershof, wo die frühere Lehrerwohnung größtenteils in Eigenleistung in das Vereinsdomizil umgewandelt worden ist.